kanzlei@elblaw.de

Kaiser-Wilhelm-Str. 93 / 20355 Hamburg

+49 (0) 40 411 89 38-0

Kontaktieren Sie uns!

Mo-Do 8.30-17.00 Uhr / Fr 8.30-16.00 Uhr

Wir sind für Sie da!

Der Kindeswille im familiengerichtlichen Verfahren

Der Kindeswille spielt eine entscheidende Rolle in umgangs- und sorgerechtlichen Streitigkeiten. Gemäß Art. 6 Abs. 2 GG dürfen Eltern ihre elterliche Sorge und den Umgang mit ihren Kindern grundsätzlich nach eigenen Vorstellungen ausgestalten. Dabei haben sie jedoch den Willen des Kindes zu beachten und in gewissen Fällen ihre eigenen Interessen zurückzustecken.

Mit der Kundgabe des Willens macht das Kind von seinem Recht zur Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Gebrauch. Die Nichtbeachtung des kindlichen Willens kann daher dazu führen, dass das Kind emotionalem Stress ausgesetzt wird. Gleichzeitig sind Kindeswille und Kindeswohl nicht gleichzusetzen und bedürfen einer differenzierten Betrachtung im Einzelfall.

I. Definition des Kindeswillens

Der Kindeswille hat eine doppelte Funktion: Zum einen ist er der verbale Ausdruck für die relativ stärkste Personenbindung die das Kind empfindet zu einem Elternteil. Zum anderen ist er – ab einem gewissen Alter – ein Akt der Selbstbestimmung des Kindes als zur Selbstständigkeit erzogene und strebende Person. Der Kindeswille kann sowohl verbal als auch nonverbal artikuliert werden und ist gleichermaßen zu berücksichtigen.

II. Der Kindeswille im Gesetz

Der Kindeswille ist gleich an mehreren Stellen im Gesetz verankert.

Bei den folgenden gerichtlichen Entscheidungen kann der Kindeswille von Bedeutung sein:

Kindeswille im Sorgerecht

Der Kindeswille hat gemäß § 1671 BGB zunächst Bedeutung bei Sorgerechtsentscheidungen getrenntlebender Eltern. Lassen sich keine gravierenden Unterschiede in der Erziehungsfähigkeit und Bindung des Kindes zu den Eltern feststellen und widerspricht das Kind dem elterlichen Antrag, ist seinem Wunsch nachzukommen (vgl. OLG Hamm, 8 UF 169/12). Anders entschied das Bundesverfassungsgericht in einem das Aufenthaltsbestimmungsrecht betreffenden Fall, in welchem zwei Gutachten zu dem Ergebnis kamen, dass die Mutter besser geeignet sei, das Kind zu betreuen. Allein die Erklärung des Kindes, lieber beim Vater leben zu wollen, begründe nicht hinreichend, dass von der Einschätzung der Sachverständigen abgewichen werden könne (vgl. BVerfG, 1 BvR 1839/20).

Kindeswille im Umgangsrecht

Auch in Entscheidungen zum Umgangsrecht spielt der Kindeswille eine Rolle. Das BVerfG hat hierzu einschränkend ausgeführt, dass der Wille des Kindes zu berücksichtigen ist, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist (vgl. BVerfG, 1 BVR 1986/04). Wird beispielsweise seit geraumer Zeit ein Wechselmodell gelebt und entspricht dieses auch dem Willen des Kindes, kann es selbst gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden, wenn nachteilige Auswirkungen für das Kind nicht feststellbar sind (vgl. OLG Dresden, 21 UF 304/21).

Wird die Änderung einer Umgangsvereinbarung oder gar der Ausschluss des Umgangs beantragt, wird von Antragsstellern häufig das Argument vorgebracht, das Kind lehne den Kontakt zum Umgangsberechtigten ab. Hier ist genau zu prüfen, worauf der dahingehende Kindeswille fußt. Das Außerachtlassen eines bewusst oder unbewusst beeinflussten Kindeswillens ist nur dann gerechtfertigt, wenn er den tatsächlich gelebten Bindungsverhältnissen nicht entspricht (vgl. BVerfG,1 BvR 1547/16). Erscheint der geäußerte Wille nach überzeugenden Feststellungen eines Sachverständigen jedoch als Ausdruck der von den Kindern wahrgenommenen Bedürfnisse eines Elternteils, führt er nicht zu einer Änderung der Umgangsregelung (vgl. BGH, XII ZB 511/18). Ebenso ist stets zu prüfen, ob der geäußerte Wille von anderen Kriterien wie dem Grundsatz der Erziehungskontinuität überlagert wird (vgl. BVerfG, 1 BvR 2102/14).

Kindeswille in anderen rechtlichen Bereichen

Neben sorge- und umgangsrechtlichen Streitigkeiten spielt der Wille des Kindes auch im Rahmen der Adoption gemäß §§ 1741, 1746 BGB eine Rolle. Hierfür ist beispielsweise die Einwilligung von Kindern ab dem 14. Lebensjahr Voraussetzung. Auch bei Entscheidungen im Namensrecht ist der Kindeswille ab dem fünften, bzw. 14. Lebensjahr zu berücksichtigen, vgl. §§ 1617a, 1617c, 1618 BGB.

II. Der Kindeswille vor Gericht

In familiengerichtlichen Verfahren wird der Kindeswille durch verschiedene Verfahrensbeteiligte ermittelt.

1. Feststellung des Kindeswillens durch den Verfahrensbeistand

Nach § 158 FamFG kann in Kindschaftssachen dem betroffenen minderjährigen Kind ein Verfahrensbeistand bestellt werden. Dieser hat die Interessen des Kindes zu vertreten unter hierzu unter anderem die Aufgabe, den Willen des Kindes zu ermitteln. Die so gewonnenen Erkenntnisse sind dann über eine Stellungnahme des Verfahrensbeistandes in das Verfahren einzubringen.

2. Die Kindesanhörung

Zusätzlich hat das Gericht in Kindschaftssachen und damit auch in Verfahren zur elterlichen Sorge und dem Umgangsrecht das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen, § 159 Abs. 3 FamFG. Nur in ausdrücklich von dem Gesetz bestimmten Ausnahmefällen kann von der Anhörung des Kindes abzusehen sein. Dies kann beispielsweise bei psychischen Beeinträchtigungen des Kindes der Fall sein, wenn die Befragung durch den Verfahrensbeistand bereits schriftlich dokumentiert wurde (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 01.08.2014 – 8 UF 136/11).

III. Die Auswirkungen des festgestellten Kindeswillens

Der festgestellte Kindeswille kann ein Indiz für das Kindeswohl sein, ist mit diesem aber nicht gleichzusetzen. Denn der Kindeswille ist neben anderen Kindeswohlkriterien wie den Bindungen des Kindes oder dem Förderprinzip nur eines mehrerer nebeneinanderstehender Kindeswohlkriterien.

Wird ein bestimmter Wille des Kindes festgestellt, kann dieser in die gerichtliche Entscheidung mit einfließen. Das Gericht kann sich aber auch dafür entscheiden, einem geäußerten Willen des Kindes eine geringere Bedeutung zukommen zu lassen als anderen Kindeswohlkriterien. So kann es etwa sein, dass das Kind hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Betreuungsform oder des Umgangs andere Vorstellungen zum Ausdruck bring, als zu seinem Wohl nötig sind. Sodann kann ein Gericht auch entgegen des geäußerten Kindeswohls entscheiden.

IV. Ab welchem Alter findet der Kindeswille Beachtung?

Feste Altersgrenzen bestehen bei der Beachtung nicht, grundsätzlich gilt jedoch: je älter das Kind ist, desto bedeutsamer auch der geäußerte Wille.

Der erklärte Kindeswille kann gerade bei jüngeren Kindern nicht als allein ausreichendes Indiz für die Stärke der emotionalen Bindung zu dem betreffenden Elternteil genommen werden. Vielmehr ist aufgrund anderer Anzeichen (z.B. einer Verhaltensbeobachtung) und Umstände dieser gerichtlich zu überprüfen. Hierbei können Gericht auch auf den sog. Amtsermittlungsgrundsatz zurückgreifen.

Ab einem Alter von circa 12 Jahren werden Gerichte kaum mehr entgegen eines geäußerten Kindeswillen entschieden.

V.  Der manipulierte Kindeswille

Dabei ist insbesondere zu erörtern, inwieweit der geäußerte Kindeswille autonom, intensiv, stabil sowie ernsthaft und zielorientiert ist (BGH BeckRS 2019, 32787). Schwierig ist die Beurteilung illoyaler, aber für die emotionale Bindung effizienter Beeinflussung des Kindes. Es gilt dann festzustellen, ob die Äußerung des Kindeswillens durch elterliche Einflussnahme so manipuliert worden ist, dass die wahren inneren Wünsche und Neigungen verfälscht wiedergegeben werden. Unter Hinzuziehung eines geeigneten Verfahrensbeistandes, der Einschätzung des Jugendamtes und auch mit den heutigen psychologischen Untersuchungsmethoden kann grundsätzlich die Aufdeckung des tatsächlichen Kindeswillens möglich sein.

Nicht selten scheitert dies jedoch. Dann wird in aller Regel von den Gerichten zwar festgestellt, dass der Kindeswille mutmaßlich manipuliert ist, es wird jedoch anerkannt, dass der geäußerte Kindeswille aus der Perspektive des Kindes tatsächlich der eigene, – jedenfalls gefühlt – autonom gebildete Wille ist. Wird entgegen dieses Willens entschieden, so wird es heute vielfach gesehen, würde für das Kind den größeren Schaden in der Persönlichkeitsentwicklung bedeuten.

VI. Fazit

Auch wenn der Kindeswille von erheblicher Bedeutung ist, ist er nicht ohne weiteres allein ausschlaggebend für familienrechtliche Entscheidungen. Vielmehr ist im Rahmen einer Einzelfallabwägung zu prüfen, ob die Befolgung des Kindeswillens auch dem Wohl des Kindes entspricht. Dabei wird häufig die Einholung eines Sachverständigengutachtens nötig sein. Im Fall eines manipulierten Kindeswillens ist besondere Aufmerksamkeit und Feingefühl – auch in der rechtlichen Beratung -geboten. Es ist durchaus nicht aussichtslos, einen manipulierten Kindeswillen aufzudecken. Es gehört jedoch auch zu der anwaltlichen Arbeit aufzuklären, wann dies schlicht sinnlos und schlussendlich nicht kindeswohldienlich ist. Auch Sina Töpfer, die als systemische Familienberaterin eng mit elblaw Rechtsanwälte zusammenarbeitet, kann hierzu auf Wunsch wichtige Impulse geben.

FAQ zum Kindeswillen

Wie unterscheiden sich Kindeswille und Kindeswohl?

Der Kindeswille ist ein Aspekt des Kindeswohls. Es gibt daneben noch andere Kindeswohlkriterien wie die Bindungen des Kindes, den Kontinuitätsgrundsatz oder das Förderprinzip. Auch die Erziehungsfähigkeit der Eltern findet Beachtung, genauso wie deren Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit untereinander.

Kindeswille ab welchem Alter?

Der Kindeswille ist grundsätzlich ab jedem Alter beachtlich. Auch Kleinkinder können ihren Willen nonverbal äußern. Es gilt der Grundsatz umso älter die Kinder werden, desto mehr Beachtung muss der Kindeswille in gerichtlichen Verfahren finden.

Wie ist der Kindeswille definiert?

Es gibt keine starre Definition für den Kindeswillen. Man kann ihn jedoch grob als die verbale oder nonverbale Äußerung des Kindes zu seinen Bedürfnissen, Bindungen und Empfindungen betrachten.

Was ist ein manipulierter Kindeswille?

Man spricht von einem manipulierten Kindeswillen, wenn die Eltern des Kindes oder ein Elternteil das Kind bewusst oder unbewusst durch Ansprache oder nonverbale Signale in einer Weise beeinflusst, die sich auf den Willen des Kindes auswirkt. Nicht selten wird der so gebildete Kindeswille dann als eigener Wille durch das Kind wahrgenommen.

Ab wann darf ein Kind entscheiden wann es zum Vater/ zur Mutter will?

Es gibt keine starren Altersgrenzen für die Entscheidungsbefugnis von Kindern zu entscheiden, wo es leben will. Sofern zwischen den Eltern Uneinigkeit über den Lebensmittelpunkt besteht, kann eine gerichtliche Klärung der Frage unter Einholung eines Sachverständigengutachtens sinnvoll sein. Sollte ein autonom und stabil gebildeter Kindeswille vorliegen, dürfte dieser beachtlich sein. Allein der Wille des Kindes kann jedoch nicht ausschlaggebend für den Umzug des Kindes zu dem einen oder dem anderen Elternteil sein. Auch mit den anderen Kindeswohlkriterien ist sorgsam abzuwägen.

Kindeswille beachtlich?

Es gilt der Grundsatz, dass ein stabil und autonom gebildeter Kindeswille mit steigendem Alter auch eine steigende Berücksichtigung finden muss. Ab etwa dem 12. Lebensjahr wird der geäußerte Wille eines der Hauptentscheidungskriterien für gerichtliche Entscheidungen hinsichtlich des Umgangs und des Aufenthaltsortes des Kindes sein.

Wie wird der Kindeswille festgestellt?

Der Kindeswille wird im familiengerichtlichen Verfahren einerseits durch die gerichtliche Kindesanhörung durch ein Gespräch mit dem Kind und dem Verfahrensbeistand und gegebenenfalls auch unter Rückgriff auf die Feststellungen des beteiligten Jugendamtes ermittelt.

Wie erfahren Eltern vom Inhalt der Kindesanhörung?

Bei der Kindesanhörung durch das Gericht sind die Kindeseltern nicht anwesend. Im Nachgang zu der Anhörung wird das erkennende Gericht einen Anhörungsvermerk verfassen, der den Inhalt der Kindesanhörung wiedergibt. Dieser Vermerk wird den Verfahrensbeteiligten durch das Gericht zugestellt.

Können sich Eltern über den Kindeswillen hinwegsetzen?

Hierbei kommt es vor allem auf das Alter des Kindes an. Bei kleineren Kinder kann es sogar die Pflicht der Eltern sein, dieses etwa zum Umgang mit dem anderen Elternteil anzuhalten, auch wenn das betroffene Kind den Umgang mal nicht wahrnehmen möchte. Dies wird von den Eltern im Rahmen der sogenannten Wohlverhaltenspflicht erwartet. Ab einem Alter von ca. 12 Jahren haben Kinder ein ausgeprägtes Autonomiebewusstsein. Dann kann es ihnen in ihrer Entwicklung sogar schaden, wenn sich die Eltern wiederholt und massiv über den Kindeswillen hinwegsetzen. Eltern sind hier gut beraten mit Feingefühl zu agieren. Sina Töpfer, die als systemische Familienberaterin eng mit elblaw Rechtsanwälte zusammenarbeitet, kann hierzu auf Wunsch wichtige Impulse geben.